Eine kleine Ehehumoreske.
Von Freiherr von Schlicht.
in: „Leipziger Tageblatt” vom 28.5.1916
Als meine Frau aus der Stadt zurückkam, brachte sie mir eine Neuigkeit mit, die so unfaßbar war, daß ich sie zuerst gar nicht glauben konnte, aber die ich schließlich doch glauben mußte, als meine Frau sich bereit erklärte, die Wahrheit ihrer Aussage nicht nur mit einem Eide, sondern mit sämtlichen Eiden der Welt zu bekräftigen. Und die Neuigkeit, die meine Frau beschwören wollte, lautete: Ich lasse mir nichts mehr machen. Und um mir das zu erklären, setzte sie hinzu: „Ich bin einfach tot, ich kann ganz einfach nicht mehr, ich falle um und gehe gleich zu Bett. Drei Stunden hat heute Morgen die Anprobe bei meiner Schneiderin gedauert, drei Stunden habe ich stehen müssen, bis sie mir die fünf Röcke abgesteckt hatte. Und es ist nur ein wahres Glück, daß ich mir nur diese fünf Röcke bestellte und nicht die sieben, die ich ursprünglich haben wollte, denn sonst wäre die Anprobe jetzt noch nicht zu Ende. Ein wahres Glück, daß ich nur diese fünf Röcke bestellte, aber auch die sind zu viel, mit dreien wäre ich auch ausgekommen, oder wenigstens mit vier, obgleich ich den fünften natürlich auch sehr notwendig brauche, denn sonst ließe ich mir den nicht machen. Aber damit ist es auch mehr als genug. Ich habe für diesen Sommer alles, was ich brauche, im Ueberfluß, und selbst wenn ich mir noch etwas machen lassen sollte, was aber ganz ausgeschlossen ist — ich lasse mir nichts mehr machen, ich halte dieses Anprobieren einfach körperlich nicht mehr aus, ich bin todmüde. Sei mir nicht böse, aber ich muß mich hinlegen.”
Nein, ich war meiner Frau wirklich nicht böse, im Gegenteil, ich redete ihr zu, sich zu Bett zu legen, obgleich es erst Mittag war, denn ich sah es meiner Frau an, wie müde, wie blaß und wie abgespannt sie war. Aber das nicht allein, meine Frau bekam auch plötzlich die rasendsten Kopfschmerzen, so daß sie sich, als sie bald darauf im Bett lag, kalte Umschläge machen mußte.
Ich kann keinen Menschen leiden sehen, am wenigsten meine eigene Frau, so wollte ich mich denn neben ihr Bett setzen und sie trösten, aber sie bat mich: „Laß mich allein, ich will versuchen, ein par Stunden zu schlafen.”
Das tat meine Frau denn auch, aber als ich nach ein paar Stunden wieder leise in ihr Schlafzimmer trat, um mich nach ihr umzusehen, da schlief meine Frau immer noch nicht, sie lag da mit nassen Umschlägen auf dem Kopf, mit der Brille auf der Nase und hielt in ihren Händen das neueste Modeheft.
„Aber ich denke, du schläfst, wolltest es wenigstens versuchen,” meinte ich vorwurfsvoll.
„Das wollte ich auch,” stimmte meine Frau mir bei, „aber das Mädchen hat mir das Modeblatt heraufgebracht, das der Buchhändler vorhin schickte. Na, und daß man als Frau nicht schlafen kann, wenn man das neueste Modeblatt in Händen hält, ist doch selbstverständlich.”
„Das schon,” warf ich ein, „wenigstens magst du im allgemeinen recht haben, aber in diesem besonderen Falle verstehe ich dich wirklich nicht, weil ich nicht weiß, weshalb dich dieses Modeblatt irgendwie interessieren kann, denn da du dir nichts mehr machen lassen willst —”
„Das will ich selbstverständlich auch nicht,” fiel meine Frau mir rasch in das Wort, „ich gehöre Gott sei Dank nicht zu jenen Frauen, die alle fünf Minuten ihre Ansicht und ihre Absicht ändern, ich bleibe bei dem, was ich sagte, ich lasse mir wenigstens für diesen Sommer nichts, aber auch nichts mehr machen, aber trotzdem, oder gerade deshalb, sage mir bitte offen und ehrlich, findest du dieses Kleid nicht einfach entzückend?” Und damit hielt sie mir das Blatt unter die Nase, auf dem sie ein Bild mit einem Bleifederkreuz angestrichen hatte.
Ich besah mir das Kleid und das Kreuz, bis ich plötzlich sah, daß auf derselben Seite auch noch zwei andere Kleider angestrichen waren, und deshalb sagte ich, lediglich um überhaupt etwas zu sagen: „Die anderen beiden Kleider sind aber auch sehr hübsch.”
„Nicht wahr?” rief meine Frau mir lebhaft zu, „die beiden anderen sind eigentlich sogar noch hübscher, die sind sogar so hübsch, daß meine Kopfschmerzen anstatt besser noch viel schlimmer geworden sind.”
„Das verstehe ich aber wirklich nicht,” warf ich ein, „willst du mir das nicht näher erklären?”
„Das ist doch so furchtbar einfach,” belehrte meine Frau mich, „du weißt, daß ich mir nichts mehr machen lassen will und mir selbstverständlich auch nichts machen lassen werde, wenigstens vorläufig nicht, aber einmal muß ich mir doch wieder etwas machen lassen, denn mit den paar Kleidern, die ich habe, kann ich nicht ewig gehen, und da habe ich darüber nachgedacht, wenn ich mir später doch einmal wieder etwas machen lassen muß, für welches dieser drei Kleider ich mich entscheiden würde.”
„Ich entschiede mich an deiner Stelle für gar keins,” gab ich zur Antwort. „Für diesen Sommer bist du mehr als reichlich versehen, im nächsten Jahr aber sind diese Kleider längst unmodern, und mit unmodernen Sachen gehst du doch nicht.”
„Natürlich nicht,” stimmte meine Frau mir bei, bis sie plötzlich und unvermittelt fragte: „Du sagtest eben, ich sei für diesen Sommer mehr als reichlich versehen. Das bin ich auch, ich habe sogar eigentlich zu viel, aber trotzdem, e i n Kleid könnte ich noch sehr gut gebrauchen, ja, wenn ich es mir richtig überlege, fehlt mir sogar noch eins.”
„Dann würde ich mir dieses eine an deiner Stelle noch machen lassen.”
Meine Frau lag eine ganze Weile nachdenklich da, dann meinte sie: „Ich hatte mir ja zwar fest vorgenommen, mir vorläufig unter gar keinen Umständen noch etwas machen zu lassen, aber wenn du es wünschst, wenn du mir da sogar zuredest, ist es natürlich etwas anderes. Dir zuliebe und um dir eine Freude zu machen, will ich meine Ansicht ändern, obgleich du weißt, daß ich sonst konsequent bin, aber wie gesagt, dir zuliebe —”
„Bitte, bitte, davon kann gar nicht die Rede sein und nichts liegt mir ferner, als dich in deinen Grundsätzen irre zu machen,” wollte ich meiner Frau zurufen, und die mußte etwas Aehnliches befürchten, denn um mich abzulenken, jammerte sie plötzlich: „Mein Kopf, mein armer Kopf, ich glaube, ich werde verrückt, denn ich weiß wirklich nicht, für welches dieser drei Kleider ich mich entscheiden soll.”
Das wußte ich natürlich auch nicht, deshalb gab ich meiner Frau den Rat, am nächsten Tag, wenn die Kopfschmerzen hoffentlich wieder vorüber wären, zur Schneiderin zu gehen, um mit der die Streitfrage zu besprechen.
Aber meine Frau widersprach: „Nein, bis morgen halte ich diese Kopfschmerzen nicht aus, die müssen eher vergehen, und deshlab will ich noch heute zur Schneiderin fahren. Ich will versuchen, jetzt aufzustehen. Wenn ich mich angezogen habe, wird es schon besser werden, und wenn ich erst an der frischen Luft bin, wird es sicher ganz gut, also laß mich nun bitte allein.&rdquo,
Das tat ich denn auch, obgleich ich meine Frau nicht ganz verstand, und meine Frau führte ihren Vorsatz aus, sie erhob sich, sie kleidete sich an und ließ sich dann einen Wagen kommen, um zur Stadt zu fahren. Um zu gehen, war sie tatsächlich zu schwach, ich sah es ihr an, es ging ihr gar nicht gut, aber als sie endlich, endlich zurückkam, ging es ihr um so besser. So frisch, so fröhlich, so gesund sah sie aus, als wisse sie gar nicht mehr, was Kopfschmerzen wären, so daß ich ihr zurief: „Na, das freut mich aber, daß du wieder wohlauf bist.” Und neugierig fragte ich: „Na, für welches der drei Kleider habt ihr euch denn nun entschieden? Oder bist du dir immer noch nicht schlüssig geworden?”
„Doch, doch,” rief meine Frau lebhaft, „aber das sage ich dir, das war keine leichte Arbeit. Auch die Schneiderin fand ein Kleid immer hübscher als das andere und sie erklärte, jedes der drei würde mir ganz besonders gut stehen. Wir überlegten hin und her und wir wären wohl nie zu einem Resultat gekommen, wenn ich nicht plötzlich einen klugen Gedanken gehabt hätte.”
„Und der war?” erkundigte ich mich, „hast du etwa das Los entscheiden lassen?”
„Nein, nein, das nicht,” widersprach meine Frau, „ich habe die Frage viel einfacher gelöst, aber leicht ist es mir nicht geworden. Du weißt, ich hatte mir fest vorgenommen, mir nichts mehr machen zu lassen, aber da ich nun doch wieder anprobieren muß, kommt es auf einmal mehr oder weniger auch nicht an.”
„Ach so, ich verstehe,” unterbrach ich meine Frau, „da hast du dich also für zwei Kleider entschieden, für die beiden, die dir von den dreien am besten gefielen?”
Meine Frau sah mich mit großen Augen ganz vorwurfsvoll an, dann meinte sie: „Aber was denkst du nur? Das wäre doch eine Verschwendung sondergleichen gewesen, denn trotz dieser großen Ausgabe hätte ich dann vielleicht doch nicht das Kleid bekommen, das mir bei späterer ruhiger Ueberlegung von den dreien am besten gefallen hätte. Das, aber doch nur das wollte ich haben, und um das zu bekommen, blieb mir schon aus Sparsamkeitsrücksichten nur ein Ausweg — ich lasse mir alle drei Kleider machen!”